Bezug: Die Büchlein sind in vielen Buchhandlungen in Madagaskar erhältlich, so in Antananarivo (Analakely und Antanimena), Antsirabe, Fianarantsoa, Mahajanga (Majunga), Manakara, Taolagnaro (Fort Dauphin), Toliary (Tulear). Der Preis in Madagaskar liegt seit 2012 bei 1500,- Ariary (ca.0,4 - 0,5 Euro), gelegentlich zuzügl. Transportkosten. Buchhandlungen können beim Grossisten Libr. Md Paoly (Tana-Analakely) bestellen.

Copyright Madagasikara Namako e.V. Internet: https://madagasikara-namako.jimdo.com

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Madagassische Märchen und Sagen

 

Nicht anders als in anderen Ländern erzählen in Madagaskar Eltern und Großeltern, gelegentlich auch Märchenerzähler, den gebannt lauschenden Kindern die alten Märchen und Sagen in ihrer vertrauten Muttersprache. Und wie alle Kinder auf der Welt freuen sie sich, wenn die Schwachen (die Kinder) und das Gute siegen und die Bösen bestraft werden, oder wenn von den Taten der Sagengestalten berichtet wird. In der Fantasie kann man unter Wasser leben, auf Vögeln fliegen und auf Krokodilen schwimmen, Augen auskratzen und wieder einsetzen, den Mond vom Himmel holen, durch eine Eule hindurchfliegen oder starke Ungeheuer verbrennen. Auch Schelmengeschichten sind sehr beliebt. Von allen gibt es zahllose Varianten, von Dorf zu Dorf, von Familie zu Familie.

Die Änderung der Lebensumstände, besonders in den Städten, läßt diese mündliche Weitergabe immer seltener werden. Hinzu kommt die Konkurrenz moderner Medien, bunter Prospekte, von Fernsehen und Internet.

Die Märchen und Sagen, die so wichtig sind für die emotionale und kulturelle Verwurzelung sowie für die Entwicklung der Lesefreude, drohen  in Vergessenheit zu geraten.

In dieser Reihe („Boky námako“ – Das Buch, mein Freund) wurden daher von madegassischen Lehrern, Schriftstellern und Zeichnern traditionelle Märchen und Sagen sowie Kinderlieder (ein Heft, zu dem es auch eine CD gibt) aus allen Gegenden Madagaskars zusammengestellt und reich und liebevoll bebildert. Die begeisterte Aufnahme in der Bevölkerung machten diese Kinderbüchlein in wenigen Jahren zu den meistgelesenen in Madagaskar. Schon  nach jeweils zwei Jahren wurde die zweite Auflage notwendig. Von 2012 bis 2015 wurden bislang 36000 Exemplare gedruckt.

Wir wünschen ihnen ein langes, langes Bücherleben zur Freude ihrer kleinen und großen Leser.

Antananarivo, im Februar 2015

Basilisse Pflüger-Rakotomalala und Wolfgang Pflüger

 

Unterstützung gab der Verein Madagasikara Námako (Leichlingen, Deutschland) http://madagasikara-namako.jimdo.com. Über die Beachtung der Sprachregeln wachten die Linguisten der mad. Akad. der Wissenschaften, gedruckt wurde in Druckereien in Antananarivo. Die Übersetzungen bearbeiteten B.& W.Pflüger (deutsch), J.Randrianaivo und M.Rakotoson (franz.), J. Lamoure, Carolyn Bear (chloerayban.co.uk) und F.Aliderson (engl.). Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank.

 

 

1 - Darafify der Riese – (2. Aufl. Feb 2014, mod.)

((Ein Märchen von der Ostküste))

 

Text von Eric Ravalisoa, Bilder von Max Hariman

 

S.(4): Es war einmal, liebe Kinder, ein Riese, der lebte im Osten Madagaskars. Er war so groß, daß er fast den Himmel berührte. Sein Name war Darafify, auch Rapeto genannt. Mit dem Mund blies er die Wellen des Meeres zurück. Mit einem Sprung konnte er mehrere Hügel überspringen. Er war aber ein gutherziger Mann.

(6) Eines Tages spielte er mit den Wolken. Da sprach seine Frau zu ihm: „Bitte, bitte, hole mir den Mond vom Himmel“.

Da Darafify seine Frau sehr lieb hatte, holte er tatsächlich den Mond herunter.

 

(8) Er konnte ihn jedoch nicht festhalten, der Mond stürzte auf die Erde hinab und verbrannte den größten Teil des Waldes.

Angesichts dieses Unglücks versammelten sich die Dorfbe-wohner in großer Aufregung.

(10) Während die Leute beratschlagten, was sie tun könnten, verbrannte das Feuer alles. Lemuren, Chamaeleons und Schildkröten starben in den Wäldern.

(12) Häuser verbrannten mit allem Hab und Gut. Die Felder mit Süßkartoffeln und Blattgemüse, auch die Hühner, Rinder und Schweine vekohlten, die Bäume wurden zu Asche, das Wasser verdarb.

(14) Nur ein Baum blieb stehen. Vor den Augen der verwunderten Dorfleute ragte er gerade und riesig auf. Sie beschlossen, den Riesenbaum zu fällen. Denn sonst, so fürchteten sie, werde er weiteres Unheil bringen.

(16) Die versammelten Dorfleute liefen auseinander, und nach kurzer Zeit waren sie alle mit ihren Äxten zurück. Manche trugen auch große Haumesser.

(18) Als sie in den Baum hackten, so wird es berichtet, floß etwas wie Blut in Strömen heraus. Verwundert sprachen die Leute zueinander: „Da seht ihr, was für ein verhexter Baum das ist, aus seinem Inneren kommt etwas Rotes wie Blut.“

(20) Als sie das sahen, ergriffen einige voller Angst die Flucht. Andere waren mutiger und riefen sie zurück: „Bäume, die Unglück bringen, müssen gefällt werden“ bekräftigten sie.

Entschlossen hackten sie weiter in den Unglücksbaum, um ihn zu fällen.
Manche fürchteten sich und hatten ängstliche Gesichter.

 

(22) Nach den gemeinsamen Anstrengungen stürzte der Riesenbaum unter dem Jubel der Menschen krachend zu Boden. Erst jetzt merkten sie, daß es Darafify  war und kein Baum. Er bedeckte mit seinem riesigen Körper die weiten Hügel der Umgebung.

(24) Das Blut strömte weiter aus seinem Körper – und es wurde zu Dünger, der die weiten Flächen fruchtbar werden und viele verschiedene Bäume wachsen ließ.

(26) Der Wald in diesem Teil an der Ostküste des Landes wurde schließlich ganz dicht, so daß man später meinte, der Wald im Osten sei riesig und würde sich nie erschöpfen.

 

Ein Märchen, ein Märchen – Geschichten, Geschichten.  Ich erzähle, ihr hört zu.

(bpr & pfw VII/12, III/14)

 

 

2 - Tsingory der Tänzer (unveränd. 2. Aufl. Feb 2014)

(Tsingory Mpandihy)

 

Ein Märchen vom Hochland (Imerina)

Text von Eric Ravalisoa, Bilder von Max Hariman.

 

(S.4) Eines Tages, Kinder, so wird in diesem Märchen im Imerina erzählt, hat Gott die Talente verteilt. Tsingory erhielt die Gabe, ein guter Tänzer zu werden. Alle freuten sich, die ihm beim Tanzen zuschauten. Musiker und Sänger begleiteten ihn.

(6) Einmal, so wird berichtet, sagte Tsingory zu seiner Mutter „Ich brauche eine schöne und ganz außergewöhnliche Stimme, die mich beim Tanzen begleitet.“ „Wo willst Du die herbekommen?“ fragte die Mutter. - Nach langem Überlegen kam Tsingory eine Idee.

 

(8) Ihm fiel der Vogel des Königs ein, ein Vogel mit einer wunderschönen Stimme, der noch dazu sehr gut trillern konnte. Ein jeder hätte ihn gerne besessen. So auch Tsingory.

(10) In einer stillen Nacht sagte er sich: wenn ich den Vogel des Königs fange, werde ich ihn singen lassen und danach tanzen.
Darüber bekam er heftiges Herzklopfen und konnte nicht mehr schlafen.

(12) Tsingory schlich sich zum Königspalast und hörte den Vogel seine Melodien zwitschern. Er sah ihn umherflattern und warf einen Stein nach ihm. Der Vogel stürzte herab und lag wie tot am Boden. Da ergriff Tsingory die Flucht.

(14) Der Steinwurf hatte die Wächter aufmerksam gemacht und sie versuchten, Tsingory zu fangen. Sie konnten ihn jedoch nicht erwischen. Zu Hause hatte ihn seine Mutter versteckt und in eine Matte gewickelt.

 

(16) Am nächsten Morgen verbreitete sich die Nachricht, daß Tsingory den Vogel des Königs mit einem Stein beworfen hatte. Der König gab Befehl, Tsingory zu verhaften. Daraufhin versammelte sich das Volk vor Tsingorys Haus.

(18) Verschiedene Musikinstrumente erklangen, eine Kabiro [mad.Trompete], eine Marovany [mad. Zupfinstrument], eine Trommel .... Die Leute sangen „Ist denn Tsingory zu Hause? Tsingory hat den Vogel des Königs getötet!“

(20) Tsingory zuckten die Füße vor lauter Lust am Tanzen. Das laute und fröhliche Treiben draußen auf dem Hof verstärkte seine Tanzlust. Aber seine Mutter verbot ihm, sich zu rühren. „Sie werden Dich umbringen, wenn Du hier rausgehst“, sagte die Mutter.

(22) Das Musizieren auf dem Hof draußen hörte nicht auf, und die Leute fragten weiter „Ist denn Tsingory zu Hause? Der König sucht ihn dringend.“ Da konnte Tsingory sich nicht länger zurückhalten, er sprang hinaus und fing an, vor den versammelten Leuten zu tanzen.

 

(24) Als der König  sah, wie kunstvoll Tsingory tanzte, ernannte er ihn zu seinem Hoftänzer.

(26) Inzwischen aber kam der Vogel wieder zu sich. Er trillerte und zwitscherte so schön, daß Tsingorys Tanzkunst noch besser wurde. Der König aber freute sich und folgte mit Wohlgefallen seinem Tanz, begleitet vom Gesang des Vogels.

 

Ein Märchen, ein Märchen – Geschichten, Geschichten.  Ich erzähle, ihr hört zu.  

(bpr & pfw, VI 12)

 

 

3 - Der Fischer im Glück (2. Aufl. Feb 2014, unveränd.)

(Ilay mpanjono nanan-karena)

Ein Märchen der Sakalava aus der Gegend von Mahajunga (Nordwesten)

Text von Marthe Rasoa , Bilder von Roddy

 

(S.4) Es war einmal, liebe Kinder, ein armer Mann, so erzählt man in Gegend von Ambongo, im Land der Sakalava. Er ernährte seine Familie mit Fischfang. Alles, was er besaß, waren eine Angel und eine Piroge.

(6) In aller Frühe, wenn die Frösche quakten, war er bereits am Meer, und erst bei Anbruch der Nacht kehrte er heim.
Er wußte nicht, daß tief unten auf dem Meeresgrunde in einem Königreich ein Volk lebte. Der König hatte eine Tochter.

(8) Eines Tages wurde das kleine Mädchen krank. Der Medizinmann sagte, es könne nur gesund werden, wenn es Reis zu essen bekäme. Es ist aber schwer, unter dem Meer Reis als Medizin zu bekommen. Da versprach der Bote des Königs, sich alsbald auf die Suche nach Reis zu begeben. Er stieg an das feste Land und ging am Meeresufer entlang.

(10) Schließlich traf er auf den Fischer, der Maniokwurzeln und manchmal etwas Reis aß, den er selbst kochte. Der Bote sah die Reiskörner und bat den Fischer um die Reste, die er dann ins Königreich mitnahm. Vier Tage später war die Königstochter wieder gesund.

(12) Der König und sein Volk freuten sich und ließen ein Huhn schlachten. Denn jedes Mal, wenn Menschen sich freuen, wird ein Huhn geschlachtet.
Der König aber befahl, den Menschen zu belohnen, von dem sie die Reiskörner bekommen hatten.

(14) Als der Königsbote die Angel des Fischers mit dem Köder im Meer entdeckte, hielt er sie fest. Sogleich zog der Fischer die Rute hoch, weil er glaubte, ein großer Fisch habe angebissen. Der Bote ließ sich hochziehen und rief:

„Sei gegrüßt, guter Mann! Der König will Dir Deine gute Tat vergelten. Ich habe ihm die Reiskörner gebracht, die Du mir am Ufer gegeben hast. Die Königstochter hat sie gegessen und ist wieder gesund geworden.“

(16) Der Fischer lehnte zunächst ab, aber der Bote kippte das Boot um und zog ihn geschickt ins Wasser. Dabei sprach er: „Wenn der König Dir Geld anbietet, weise es zurück, wähle statt dessen die Gabe, die Sprache aller von Gott geschaffenen Lebewesen zu verstehen.“

(18) Als der König den Fischer erblickte, war er verblüfft über die Ähnlichkeit: dieser Mensch hatte auch zwei Augen, zwei Ohren und eine Nase mit zwei Löchern. Nur einen kleinen Unterschied gab es bei dem irdischen Menschen: er stand gerade auf beiden Beinen, während die unter Wasser lebenden Wesen leicht gebeugt sind und mit den Händen wedeln.

(20) Der König bot ihm viel Geld, doch der Fischer lehnte ab. Darauf fragte der König „Möchtest Du die Sprache aller Lebewesen um Dich herum verstehen können?“ „Ja“, antwortete der Fischer.
Danach kehrte er in sein Dorf zurück. Er war aber müde und legte sich zum Schlafen unter einen Mangobaum

(22) Da unterhielten sich über ihm zwei Raben, welche als Maisdiebe wohlbekannt waren. Der Fischer verstand nun ihre Sprache. Er stellte sich schlafend, um dem Gespräch der beiden Vögel länger lauschen zu können. Er schnarchte sogar mit offenen Zähnen. Da sprach der eine Rabe: „Wie tief der schläft“

(24) Der andere Vogel fügte hinzu: „Ich weiß, daß das ein Antedrovolo ist, ein Mensch, eines der listigsten Geschöpfe Gottes. Ich setze mich mal auf seinen Bauch und werde ihn an den Augen kitzeln.

In diesem Moment ergriff der Fischer den überraschten Raben.

„Ich weiß, daß die Menschen sehr auf Geld aus sind“ sagte der Rabe zu seinem Freund. „Ich werde ihm die Goldmünzen zeigen, damit er mich frei läßt. Sie sind in den Tontöpfen im Wurzelloch des großen Tamarindenbaumes im Norden von seinem Dorf versteckt.

(26) Als der Fischer das hörte, lächelte er und ließ den Raben frei.
Er ging zurück in seinem Dorf. Früh am nächsten Morgen begab er sich zu dem großen Baum. Tatsächlich entdeckte er dort die sieben Tontöpfe, gefüllt mit Goldmünzen.

Er nahm drei von den Töpfen und brachte sie seiner Frau.

Nun war er überglücklich, weil er viel Geld besaß und die Sprache aller Geschöpfe verstand.

Ein Märchen, ein Märchen,…  (bpr & pfw VI/12)

 

 

4 - Das Krokodil und der Papagei

(Ravoay sy Rakoera)

 

Aus der Sammlung „Märchen aus dem Antakarana“, Hrsg. Foi et Justice

Text von Myriam Verenako, Bilder von Patoo

 

(S.4) Es waren einmal, liebe Kinder, so wird es in der Gegend von Anbanja im Norden Madagaskars erzählt, ein Krokodil namens Ravoay und ein Papagei, der hieß Rakoera, auch Raboloky genannt. Das Krokodil lebte im Wasser, und der Papagei lebte an Land. Die Familie der Krokodile wuchs und wuchs. Sie hatten große Mühe, genug zu essen zu finden. Deshalb wurden sie immer grausamer und fraßen alle Tiere, die dem Wasser zu nahe kamen, sogar Menschen.

Rakoera dagegen lebte friedlich auf dem Land, arbeitete fleißig und wurde reich.

(6) Ravoay lauerte ständig am Rande des Wassers auf Tiere und Menschen, die ans Ufer kamen. Eines Tages kam Rakoera, um Wasser für die Küche zu schöpfen. Da schnappte ihn das Krokodil. Es fraß ihn aber nicht sofort, sondern brachte seine Beute zu der Wohnhöhle seiner Familie.

(8) Unterwegs versuchte der Papagei, das Krokodil zu besänftigen und bat es, ihn freizulassen. Dafür wollte er ihm einen ganzen Ochsen schenken. Ravoay aber lehnte ab - von einem Ochsen würden er und seine Familie nicht satt. Da bot ihm Rakoera zehn Ochsen, doch dem Krokodil war das immer noch nicht genug.

Schließlich versprach ihm der Papagei alle Rinder seiner Herde, und nun endlich stimmte Ravoay zu und brachte ihn wieder ans Ufer zurück.

(10) Ehe das Krokodil Rakoera freiließ, fragte es: was ist, wenn du mich betrügst und du die Rinder nicht bringst? – Dann könnt ihr in unser Dorf kommen und alle auffressen, antwortete der Papagei.

Beide begaben sich nach Hause und versammelten ihre Familien. Ravoay berichtete den Krokodilen von der Abmachung und sagte: bereitet Euch vor, morgen werden wir alle Rinder von der Herde des Herrn Rakoera bekommen.

(12) Rakoera, der beim Fang verletzt worden war und seither hinkte, wollte seine Rinder natürlich nicht den Krokodilen schenken. Außerdem sann er auf Rache. Zusammen mit seiner Familie heckte er daher einen Plan aus, um die Krokodile umzubringen.

(14) Am nächsten Morgen versammelten sich die Papageien im Wald bei ihrem Dorfe. Herr Rakoera flog ans Ufer und rief die Krokodile herbei. Noch einmal warnte Ravoay: Wehe, wenn du versuchst, uns zu betrügen, dann werden wir Dich bei lebendigem Leibe auffressen. – Aber natürlich, antwortete der Papagei, so ist es abgemacht.

Und die Krokodile kamen eins nach dem anderen aus dem Wasser.

(16) Als die Krokodile auf die Wiese mit dem hohen Gras gleich bei dem Wald der Papageien kamen, rief der Papagei: verteilt euch und versteckt euch gut im hohen Gras, wir treiben Euch die Rinder zu.

(18) Während sich die Krokodile im Gras versteckten, riefen die Papageien im Walde
„Hi-o-o-o-o,  Hi-o-o-o-o“, als würden sie die Rinderherde vor sich her treiben. Die Krokodile jubelten und freuten sich auf das Rinderfleisch.

(20) Einige Papageien waren jedoch an den Rand der Wiese geflogen und steckten das trockene Gras in Brand. Als die Krokodile die Rauchwolken sahen, waren sie völlig überrascht und wollten in Panik flüchten. Das Feuer breitete sich aber sehr schnell aus, so daß die Krokodile der Feuerhölle nicht entkommen konnten.

(22) Nur eines der Krokodile konnte sich mit einem gewaltigen Sprung durch das Feuer retten und halbverbrannt das Wasser erreichen. Sein Rücken, sein Kopf und sein Schwanz waren aber schwer verbrannt. Es löschte das Feuer im Wasser. Dann sann es auf Rache.

(24) Deshalb ist die Haut der Krokodile noch heute rauh und schuppig von den Narben der Brandwunden. Und bis heute lauern sie am Ufer auf ihre Todfeinde, die Papageien.

(26) Die Papageien aber trauen sich nicht mehr ans Wasser, sondern sitzen auf den Ravenala-Bäumen [„ Baum des Reisenden“, „Fächerbanane“], wo sie zwischen den Blättern trinken und baden.

Und im Frühjahr, wenn die Papageien neue Federn bekommen, rufen sie immer noch „Hi-o-o-o“, zur Erinnerung an ihren Sieg über die Krokodile.

 

Ein Märchen, ein Märchen,…  (bpr & pfw II/13)

 

 

 

5 - Lohanaby, der Junge, der nur ein Kopf war

Ein Märchen aus dem Südosten Madagaskars (Farafangana)
Text von Nandrasana, Bilder von Roddy

(4) Vor langer Zeit, Kinder, so wird in diesem Märchen erzählt, lebte im Südosten ein Ehepaar mit seinen vier Söhnen . Der jüngste von ihnen hatte keine richtigen Hände, keine richtigen Beine, keinen Körper. Er bestand nur aus einem Kopf. Sein Name war Lohanaby.  Seine älteren Brüder verspotteten ihn, weshalb Lohanaby noch mehr litt.

(6) Er entschloß sich, zum Zanahary [Herr der Schöpfung] zu gehen, um Hilfe zu suchen. Er hüpfte und rollte auf dem Weg dahin, denn ohne richtige Beine und Füße konnte er ja nicht richtig laufen.

Nach einer Weile traf er unterwegs eine alte Frau, die fragte ihn „Wohin des Wegs?“. „ Zum Zanahary“, antwortete er, „ich möchte gern, daß er meine Gestalt ändert, die er mir gegeben hat“.

(8) Die Frau, sie hieß Ranavavy, hatte Mitleid mit ihm und gab ihm ein paar gute Ratschläge, wie er sich beim Zanahary verhalten soll. „ Auf keinen Fall darfst du  dich auf den goldenen Stuhl setzen, den er dir anbietet, auch aus dem goldenen Teller darfst du nicht essen, wenn dir darauf serviert wird, und nicht im goldenen Bett schlafen, in das du dich legen sollst. Zeige Bescheidenheit.

Es gibt aber beim  Zanahary ein Wasser, das Menschen verwandeln kann.“

(10) Lohanaby setzte seine Reise fort. Eine Woche später kam er beim Zanahary an. Dort wurde er von den Hunden Zanaharys mit Gebell empfangen, störte sich aber nicht daran und trat ein. „ Ich habe dich schon erwartet“, sagte Zanahary. Er bat ihn hinein und bot ihm einen goldenen Stuhl an, aber Lohanaby lehnte ab. „Lassen Sie mich bitte hier an der Tür auf dem Boden  Platz nehmen.“

(12) Man brachte ihm etwas zu essen auf einem goldenen Teller, worauf er sagte:  „Gnädiger Herr, daraus möchte ich nicht essen, mir genügt ein einfacher Teller.“

Als es Nacht wurde, lud man ihn ein, in einem goldenen Bett zu nächtigen; das Angebot schlug er aber erneut aus. „ Danke, ich bin gewohnt, auf einer Strohmatte zu schlafen„, fügte er hinzu.

(14) Am nächsten Morgen fragte ihn der Zanahary, weshalb er zu ihm gekommen sei.

Lohanaby gab zur Antwort: „ Ich habe es sehr schwer, so zu leben, wie Sie mich geschaffen haben. Ohne Beine,  Hände und Körper, nur mit einem Kopf. Nur Zähne haben Sie mir noch gegeben, damit ich mich ernähren kann.“

- „ Es stimmt “, erwiderte Zanahary, „ich wurde damals unterbrochen, als ich dich schuf, so konnte ich gerade nur deinen Kopf vollenden. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß du es damit so schwer haben würdest. Aber ich werde dir helfen.“

(16) Zanahary ließ ihn dreimal in einen See tauchen, die nicht weit von da war. Beim ersten. Mal wuchsen ihm Hände, Bauch und Brust, beim zweiten Untertauchen bildeten sich Beine und Füße, und beim dritten Mal wurde er schließlich ein schlanker, hübscher junger Mann. Er bedankte sich von ganzem Herzen. 

(18) Nach seiner Verwandlung ging er nach Hause zurück. Groß war die Überraschung seiner Eltern, als sie ihn so wiedersahen, und seiner Brüder, die ihn immer verspottet hatten.

Lohanaby aber erzählte seinen Brüdern gern und ohne Zögern von seiner Reise zum Zanahary, als sie ihn danach fragten.

„ Wir wollen auch zu ihm“, beschlossen die drei, denn sie waren sehr neidisch.

(20) So machten sie sich auf den Weg zum Zanahary. Unterwegs begegneten sie der alten Frau, aber sie sprachen kein Wort mit ihr und grüßten sie nicht einmal. „ Was kann diese einfache Frau uns schon nützen“, sprachen sie zueinander. Schließlich kamen sie ans Ziel.

(22) Zanahary bat sie hinein und bot allen dreien einen goldenen Stuhl, auf den sie sich gern setzten. Dann aßen sie aus goldenen Tellern. Abends zögerten sie nicht und nahmen selbstverständlich das Angebot an, in goldenen Betten zu schlafen.

(24) Als er sie am nächsten Morgen fragte, weshalb sie ihn besuchten, gaben sie zur Antwort: „ Wir möchten gern noch schöner aussehen als Sie uns gemacht haben und als unser Bruder. Unser jüngster Bruder wurde von Ihnen in einen hübschen, gut aussehenden jungen Mann verwandelt „.

(26) Zanahary sagte nichts und führte sie zum Zaubersee. Dort ließ er sie alle drei zusammen ins Wasser tauchen. Beim ersten Mal wuchs ihnen der Mund in die Länge, beim zweiten Mal bekamen sie vier Beine, beim dritten Tauchen wuchsen ihnen überall Haare. Sie hatten sich in bellende Hunde verwandelt.

Zanahary aber wies sie fort mit den Worten: „Los, verschwindet, nun seid keine Menschen mehr, ihr seid Hunde geworden!“

Lohanaby dagegen ist Mensch geblieben und wohnte zusammen mit seinen Eltern.

 

Ein Märchen, ein Märchen,…  (bpr & pfw II/13)

 

 

6 – Unsere Kinderlieder (2. Aufl. Feb 2014, mod.)

Zu diesen Texten gibt es eine CD, gesungen von Schulkindern der anglikanischen Schule in Ambohimanoro/ Antananarivo

Hirako – Hirantsika Rankizy [Meine Lieder - unsere Lieder, liebe Kinder]

Auswahl: Basilisse P-R., Bilder: Rainforest 

 

(4) Vollmond (Diavolana)

Oh klarer voller Mond am Abend

Du bist nie böse, lächelst immer
/ Laßt uns gehen /(3x) 

nach Befalatanana [Stadtteil von Antananarivo].

 

(6) Im Osten wird es hell (Mazava atsinanana)

/Es wird hell im Osten - oh
hier bei uns - ah/ 2x
Heute bleib ich hier zur Nacht
Morgen geh ich in aller Früh
He, meine liebe Raivo
wir können zusammen sein.

/Oh das Schilfrohr
Am Ufer des Anosy Sees [See in Tananarive] / (2x)

Wir laufen am Ufer
Der Abend ist schön.
He, meine liebe Raivo
wir können zusammen sein.

 

(8) Am Pangalana Kanal

Schaut, das Wasser ist sauber und klar

Im Pangalana, Ort der Entspannung

Rudert, Jungs

Unsere Piroge, Jungs,

Fährt zum Fischen

Paddelt, Jungs, paddelt.


Schaut die Fische im Wasser
Im Pangalana, sie spielen den ganzen Tag
Rudert, Jungs

Unsere Piroge, Jungs,

Fährt zum Fischen

Paddelt, Jungs, paddelt.

 

(10) Jungfrau Rose (Viavy Raozy)

[Lied aus dem Norden/Nordwesten]

Jungfrau Rose, Jungfrau Rose

Du schöne Frau
Ich weiche nicht aus deiner Nähe
Wo warst du denn seit gestern?
Ich habe dich nicht gesehen

Wo warst du denn seit gestern?
Hast du  nicht gehört

Unsere Stimme diese Nacht

Oh Du Schöne.

Was für eine Frau ist Rose

Eine schöne Frau.

Wir verlassen sie nicht,

Wir sind in ihrer Nähe geblieben seit gestern – ah, ah, ah

Wir sind in ihrer Nähe geblieben seit gestern

Ihr habt unsere Stimme nicht gehört diese Nacht

Antwortet doch

Oh schöne Frau.

 

(12)  Raivo
[Name für eine zweitgeborene Tochter]

He Raivo, oh Raivo

Du raubst mir den Atem, oh Raivo

Sei gegrüßt, die du von weit her kommst

He, kleine Raivo

Sei gegrüßt.

He Raivo, junges Mädchen

Sei gegrüßt, die du von weit her kommst

He, Raivo, die ich liebe
Sei gegrüßt, die du von weit her kommst

He, Raivo.

 

(14)   Die Vögel (Ny Vorona)

Im Wald: die vielen Vögel.
Schöne Vögel, ihr Vögel des Waldes.

Ihr seid wundervoll

            Dort lebt der Eisvogel, der schöne blaue Vogel, blau und schön, schön und blau.

Er ist wundervoll.

            Der rote Webervogel lebt dort, der schöne rote Vogel, rot und schön, schön und rot.

Er ist wundervoll

            Grauköpfchen [Papageien] in großer Zahl, grün und schön

Grün, schön und strahlend.

Sie sind wundervoll.

            Der Drongo lebt dort, mit seiner wunderschönen Stimme

Mit wunderschöner Stimme, seine Stimme ist wunderschön

Er ist wundervoll.

            Und selbst der Kuckuck, mit seiner rauhen Stimme, mit seiner ganz rauhen Stimme.
Den wir aber nicht missen möchten.

            Seid unsere Freunde, ihr Vögel des Waldes,
Ihr wohnt schön [bei uns], bekommt gutes Futter im Überfluß.
            Nein, mein Freund, euch sei Dank.

Wir Vögel des Waldes, wir lieben es,

dort umherzustreifen

 

(16) Tanze, lieber  Falke (Mandihiza Rahitsikitsika)
/Tanze [im Rüttelflug], oh Falke/ 2x

/Wir wollen es lernen/ 2x

Tanze, oh Falke

Wir wollen es jetzt zur Erntezeit lernen.

Tanze, tanze,

tanze, lieber Falke.

Tanze über Mahamasina [Stadtteil von Antananarivo],

Tanze über dem Königsschloß (Schloßhügel).

Tanze, oh Falke

Wir wollen es jetzt zur Erntezeit lernen.

Tanze, tanze,

tanze, lieber Falke.

 

(18) Noch zu klein (Mbola bitika)
[von der Westküste, Menabe]

Noch zu klein, noch zu klein

Du bist noch zu klein, mein kleines Kind.
  
Noch zu jung, noch zu jung

Du bist noch zu jung, mein Kind.

Du bist noch zu jung.

    Klein, noch zu klein.

Jung, noch zu jung

Noch zu klein, noch zu klein,

Du bist noch zu klein, mein kleines Kind,

Du bist noch zu jung, mein Kind

 

(18) He, Ralila, he

/He, Ralila, ua ua/ 2x

Komm, wir gehen nach Hause, oh Ralila!

Es wird Nacht, oh Ralila!
[mehr Text in der CD-Version]

 

(20)  Saubere Kinder (Zaza madio)

/Kinder, die sich die Hände (3x) waschen/ 2x

Unsere Hände sind sauber.
/Kinder, die sich die Füße (3x) waschen/ 2x

Wir haben saubere Füße.

/Kinder, die sich die Ohren(3x) waschen/ 2x

Wir haben saubere Ohren

(Man fährt fort mit anderen Teilen des Körpers…)

 

(22)  Da ist es, Du Vogel aus der Fremde (Iny hono izy ravorom-bazaha) [Wiegenlied]

 Da ist es [das Kind], Du Vogel aus der Fremde

Nimm es mit ins Feld

Tröste es, wenn es weint,

bring es zurück, wenn es ruhig ist

ohohoh ohoh

 Da ist es, Du Vogel aus der Fremde

Flieg mit ihm in die Felder

Nimm es mit zum Sternenhimmel.

Bring es zurück, wenn es ruhig ist

ohohoh ohoh

 

(24)   Schläft das Dorf schon ? (Mandra ve ny ao an-tanàna)

[Aufruf zum letzten Spielen am Ende des Tages]

Schläft das Dorf schon?

Das Dorf schläft schon, oh

Schläft das Dorf schon?

Das Dorf schläft schon, he . iaoo, iao

Wacht auf, wir wollen spielen.

 

(24) Wir kommen Euch holen (Avy mangataka) [Singspiel für 2 Gruppen (1u.2),die sich in Reihe gegenüber stehen. Dazwischen ein Trennstrich auf dem Boden]

      1 –  Wir kommen und wollen jemanden holen/ 2x

2 – Wen möchtet ihr holen? /2x

1 – Die [Name, z.B. Soa] möchten wir holen /2x
2 – Wer holt sie denn? 2x
1 – [Name, z.B. Naivo] möchte sie holen 2x
2 – Um wieviel Uhr? 2x
1 –Um acht Uhr 2x

2 – Entscheidet Euch 2x
1 – Unser Entschluß steht fest 2x
2 – [Zusammen :] « Der stärkere ist wie eine grüne Erdnuß, der schwächere ist wie ein Chameleon »
[Soa und Naivo fassen sich an der Hand und versuchen, sich gegenseitig zu ihrer Gruppe zu ziehen etc.] [Zusammen:]
Eins – zwei – drei –juhu.

 

(26)   Wo ist denn der Kittel (Aiza re ilay malabary)

/Wo ist denn bloß der Kittel, den Großvater geschenkt hat?/ 2x

Ein Kittel geschmückt mit Bildern, lang bis auf den Boden

Refrain: Schaut doch her

Schaut mal, wie sehr wir uns über das Geschenk freuen
Seht doch auch, wie zufrieden Großvater ist.

/Wo ist denn bloß das baumwoll‘ne Hüfttuch, das Großvater uns geschenkt hat? /2x

Ein bezauberndes Baumwolltuch.

Ein Kittel geschmückt mit Bildern, lang bis auf den Boden

Refrain: Schaut doch her

Schaut mal, wie sehr wir uns über das Geschenk freuen
Seht doch auch, wie zufrieden Großvater ist.

/Wo ist denn bloß der geflochtene Gürtelstrick, den Großvater uns geschenkt hat,/ 2x

ein ganz langer Gürtel.

Ein ganz langer Gürtelstrick

Ein bezauberndes baumwollnes Hüfttuch

Ein Kittel geschmückt mit Bildern, lang bis auf den Boden

Refrain: Schaut doch her

Schaut mal, wie sehr wir uns über das Geschenk freuen
Seht doch auch, wie zufrieden Großvater ist.

 (1020)

 

 

7 - Die hochnäsigen Schwestern

(Izy telo mirahavavy nanambady fosa [die drei Schwestern, die Raubkatzen heirateten])

 

Ein Märchen der Betsimisaraka [Ostküste]

Text von Ny Eja, Bilder von Rainforest

 

(4) Es waren einmal, so erzählt man, drei Schwestern. Die älteste hieß Ravavimatoa, die mittlere Ravaviaivo und die jüngste Rafaravavy. Sie hatten einen einzigen Bruder, der Ifaralahy hieß. Sie waren sehr hochnäsig, und wann immer ein junger Mann ihnen einen Heiratsantrag machte, wurde er zurückgewiesen. Die drei Schwestern waren sehr anspruchsvoll, sie wollten nur schöne und reiche Männer heiraten.

 

(6) Eines Tages kamen drei prächtig gekleidete Jünglinge in ihr Dorf. Die drei Schwestern waren hingerissen, und als die jungen Männer um ihre Hand anhielten, willigten sie sofort ein und folgten ihnen.

(8) Da bat ihr jüngerer Bruder Ifaralahy „Nehmt mich doch mit, bitte“.  Ravavimatoa, die älteste, lehnte ab: „Wir haben einen weiten Weg vor uns, wir fürchten, du wirst es nicht schaffen, kleiner Bruder“. Doch Ifaralahy bettelte so sehr, daß seine Schwestern schließlich einwilligten.

(10) Als sie eine Weile gelaufen waren, baten die drei Männer die jungen Frauen  und den kleinen Bruder, eine Rast einzulegen. Sie wollten ihnen noch etwas zu essen besorgen.
Da bemerkte Ifaralahy, daß sie lange Ohren hatten. Er verriet seinen Schwestern: “Eure Männer sind gar keine richtigen Menschen, es sind Raubkatzen“.  Doch die Frauen wollten das zunächst nicht glauben.

(12) Erst abends gelangten die vier Geschwister an der Unterkunft an und legten sich zur Ruhe. Da riefen die Männer draußen lauernd „Schläfst du, Ravavimatoa? Hast du dich hingelegt, Ravaviaivo? Seid ihr schon eingeschlafen, Rafaravavy und Ifaralahy?“

„Wir schlafen nicht“, antwortete Ifaralahy, „wir haben Angst vor dem dichten Gebüsch und vor bösen Tieren“. „Keine Sorge, wir werden das Buschwerk beseitigen“, beschwichtigten die drei Männer und machten sich an die Arbeit. Erst jetzt merkten die drei Schwestern, daß sie tatsächlich lange Schwänze hatten, und daß ihre Männer keine Menschen waren. Sie ersannen einen Plan, wie sie ihnen entkommen konnten.

(14) Kurz darauf, es war schon stockfinster geworden, riefen die Männer wieder: „Schläfst du schon, Ravavimatoa? – Schläfst du schon, Ravaviaivo? – Schlaft ihr, Rafaravavy und Ifaralahy?“
Aber diesmal bekamen sie keine Antwort. Da brachen sie in die Hütte ein, um die Geschwister zu verschlingen. Doch wie groß war ihre Wut, als sie auf der Strohmatte, wo die vier gelegen hatten, nur vier Bananenstauden vorfanden!

 

(16) Rasend vor Wut machten sie sich an die Verfolgung der vier Geschwister. In ihrem Zorn und Hast übersahen sie eine Grube auf ihrem Weg und stürzten hinein. Nur mit Mühe kamen sie wieder heraus. Inzwischen waren die Flüchtenden schon weit weg.
Die Raubkatzen nahmen die Verfolgungsjagd wieder auf.

(18) Als die drei Schwestern und ihr Bruder an einen großen Baum kamen und ihre nahen Verfolger bemerkten, kletterten sie schnell hinauf. Die Raubkatzen entdeckten sie und versuchten, ihnen nachzuklettern. Doch die Geschwister schlugen sie mit Stöcken zurück. So entschlossen sich die Raubtiere, selbst nach dickeren Knüppeln zu suchen. Dies nutzten die vier Geschwister, um ihre Flucht fortzusetzen.

(20) Nach einer Weile gelangten sie an einen Felsen, sprangen hinauf und sprachen  zu ihm: “Lieber Fels, erhebe Dich und werde ganz groß, denn wir werden von Raubkatzen verfolgt“. Darauf wurde der Fels riesengroß und die vier saßen auf seinem Gipfel, unerreichbar für ihre Verfolger.

(22) Es dauerte nicht lange, und die Raubkatzen trafen am Fuß des Felsens ein. Sie stellten sich freundlich und riefen: “Wir tun Euch nichts, kommt doch herunter zu uns!“ Worauf Ifaralahy antwortete: “Gut, wir springen herab.“
Voller Freude und Begierde, die vier Geschwister endlich fressen zu können, reckten sie ihre offenen Mäuler hoch. Doch statt dessen schleuderte Ifaralahy große Steine hinein, die er vorher glühend heiß gemacht hatte. Die Raubkatzen schluckten sie wie Fliegen hinunter, verbrannten und waren tot.

 

(24) Die drei Schwestern waren überglücklich, dem Tod entkommen zu  sein. Sie dankten ihrem Bruder: “Danke, oh Ifaralahy, zum Glück bist du mit uns gekommen, du hast uns vor diesen gefährlichen, mordgierigen Raubkatzen gerettet.“

 (26) Heil und unversehrt kehrten die drei Schwestern und ihr Bruder Ifaralahy zu ihren Eltern zurück und erzählten, wie es ihnen ergangen war. Die Eltern freuten sich sehr, daß ihre Kinder entkommen konnten. Von nun an änderten sich die drei Schwestern, wurden sehr freundlich, bescheiden und verträglich zu ihren Mitmenschen. Sie heirateten alle drei rechtschaffene Männer und wurden glücklich.

Ein Märchen, ein Märchen.... (bpr & pfw I/14)

 

 

8 - Imaitsoanala, die Tochter des Riesenvogels

(Imaitsoanala – Atodim-borona nanjary olona)

 

Ein Märchen der Sakalava [Westküste]

Text von Nandrasana, Bilder von Patoo

 

(4) Vor langer Zeit, liebe Kinder, so wird erzählt, baute der Riesenvogel Ivorombe sein Haus auf einer Insel und lebte dort mit seiner Dienerin Iangoria.
Bald legte Ivorombe Eier und bebrütete sie. Eines aber schlüpfte nicht, und Iangoria legte es in einen Korb, damit Ivorombe es später verspeisen konnte. Bald darauf brach jedoch das Ei auf und es entsprang daraus ein Menschenkind, ein kleines Mädchen. Überrascht und entzückt gaben sie ihr den Namen Imaitsoanala. Ivorombe brachte die beste Beute von ihren Jagdausflügen zu ihrer Tochter.

(6) Jedesmal, wenn der Vogel auf Jagd ging, machte er sich Sorgen, sein Kind könnte entführt werden. Bei der Rückkehr rief er schon von weitem nach seiner Tochter und schnüffelte dann mißtrauisch im Haus herum. Er meinte dann, es rieche nach Menschen.


Eines Tages kam Andriambahoaka, ein König aus dem Norden, mit seinem Gefolge zu der Insel.

(8) Der König kam nicht aus dem Staunen heraus, als er das Kind von Nahem sah und fragte die Dienerin: „Wessen Tochter ist dieses schöne, wohlgestaltete Kind? Ich möchte sie später, wenn sie groß ist, gern zur Frau nehmen.“ „Edler Herr“, sagte Iangoria, „ihre Mutter ist der gefürchtete Riesenvogel Ivorombe! Gehen Sie fort, sie kommt um diese Zeit zurück. Außerdem ist das Mädchen noch zu jung.“
Als Andriambahoaka das hörte, entschloß er sich, nach Hause zurückzukehren.

(10) Zu Hause erzählte er seinen beiden Frauen bei Hofe von der wundersamen Erscheinung und teilte ihnen seinen Wunsch mit, um Imaitsoanalas Hand anzuhalten, wenn sie älter wäre. Seine Frauen und das Volk gaben ihr Einverständnis und sagten: „Mögen sich der Wunsch Eures Herzens und Eure Träume erfüllen, oh Herr, wir wünschen Euch ein langes Leben.“

 

(12) Einige Zeit später kam der König wieder und sprach voll Liebe zu Imaitsoanala: „Gnädiges Fräulein, ich liebe Euch so sehr, daß ich Euch zur Frau nehmen will. Wollt Ihr mir folgen?“ Sie aber erwiderte: „ Ich danke Euch für Eure Worte, es ist eine große Ehre für mich. Aber das Leben mit mir wird unerträglich sein für Euch, ich bitte Euch, von Euren Plänen abzulassen.“

(14) „Meine Mutter, “ fuhr Imaitsoanala fort, „ist ein fürchterlicher Raubvogel, wie kann ein König wie Ihr mit einer solchen Schwiegermutter zusammenleben?“
Der König versicherte jedoch, daß er alles ertragen würde: „Es macht mir nichts aus, meine Liebe zu Euch ist so groß, daß sie mir die Kraft geben wird, alles durchzustehen.“  Iangoria flehte den König an, auf Ivorombe zu warten. Sie traute sich aber nicht, weiter Widerstand zu leisten. So folgte Imaitsoanala schließlich dem König.

 

(16) Als Ivorombe zurückkam und ihre Tochter nicht zu Hause fand, machte sie sich sofort an die Verfolgung. Der König und Imaitsoanala ließen aber von ihren Dienern Bohnen, Reis und Maiskörner auf dem Wege ausstreuen, sobald der Vogel näher kam. Das lenkte ihn ab. Er sammelte sie auf und zürnte „Wie kann man Reis wegwerfen, den man zum Essen braucht! Und wie kann meine Tochter mich verlassen, der ich sie in die Welt gesetzt habe!“
Inzwischen trafen die beiden wohl behalten zu Hause ein und wurden vom Volk freudig empfangen.

(18) Eines Tages kam Ivorombe, um ihre Tochter zu besuchen. Sie geriet wieder in Wut, hackte der Tochter die Augen aus und kratzte ihre Haut ab. Die arme Imaitsoanala wurde nun von den beiden anderen Frauen verspottet: „Was ist das für eine Ehefrau, mit ihren weißen Knochen und leeren Augen? Wenn er sie trotzdem zur Frau nehmen will, geben wir nur dann unser Einverständnis, wenn sie genau die gleichen Handarbeiten macht wie wir.“ Und sie brachten ihr Palmblätter, die sie zu Matten flechten sollte.
Imaitsoanala weinte vor Verzweiflung und wußte nicht, wie sie ohne Augen die Arbeit verrichten sollte.

(20) Zu dieser Zeit kochte Ivorombe Reis. Da tropften aus den Augen ihrer Tochter, die über der Kochstelle lagen, Tränen in das Feuer. Sie dachte: „Ich muß zu meiner Tochter – sie leidet sehr unter meiner Bestrafung, daß sie so weinen muß.“ Als sie zu Imaitsoanala kam, erzählte die ihr von ihrer Not. Ivorombe hatte jetzt großes Mitleid und flocht die Matten an ihrer Stelle.

(22) Als die anderen Frauen die fertigen Matten sahen, wurden sie noch wütender. Sie brachten Imaitsoanala  neue Aufträge. Wieder weinte sie bitterlich. Aber wieder kam ihre Mutter herbeigeflogen und erledigte die Arbeiten für sie.
Die wütenden Frauen sprachen zum König „Ihr habt die Tochter eines Vogels zur dritten Frau genommen. Wir schämen uns, daß sie beim Volk als wunderschön gilt, obwohl wir nur weiße Knochen und leere Augen sehen. Laßt uns in einem Wettbewerb vor das Volk treten.“ Der König konnte sie nicht davon abbringen.

 

(24) Als Ivorombe von dem Plan hörte, bereitete sie ihre Tochter darauf vor: Sie gab ihr die Augen und die Haut zurück und brachte ihr edle Kleider und Goldschmuck.
Das Volk versammelte sich für das Fest und man rief die drei Frauen auf die Bühne. Auf der Ostseite stolzierten hochnäsig und siegessicher die beiden ersten Frauen  herauf.  Imaitsoanala aber kam, eingehüllt in ein Tuch, zur Nordseite.

(26) Dann ließ sie das Tuch fallen und man sah ihr Gesicht. Die Menschen jubelten angesichts ihrer Schönheit. Die beiden anderen Frauen aber ernteten Spott und Hohn. Sie liefen davon und verließen das Dorf für immer.
Überglücklich führte der König Imaitsoanala nach Hause, sie war nun seine einzige Frau. Bald bekamen sie einen Sohn, den sie Andriambahoaka nannten, denn er sollte den Namen des Vaters weitertragen.

Ein Märchen, ein Märchen.... (bpr & pfw I/14,  910 W.)

 

9 - Der Blinde und der Lahme
(I Goa sy Kepeke)

Ein Märchen der Androy aus dem Lande der Dornen, gesammelt von Simeon Rajaona,

adaptiert von Nalisoa Ravalitera; Bilder von Antso Andrianary

(4) Es lebten einmal, liebe Kinder, fern im Lande der Antandroy zwei Männer. Der eine hieß Goa. Er war blind, aber stark und kräftig. Der andere dagegen war gelähmt. Er konnte nicht laufen, konnte aber gut sehen und war schlau. Er wurde Kepeke genannt.
 (6) Die beiden, so wird erzählt, trafen sich zufällig und verstanden sich sogleich. Als erster sprach Kepeke, denn er konnte den anderen gut sehen.
 (8) „Ich heiße Kepeke“, sagte er. „Ich kann nicht laufen, ich kann mich nur vorwärts schieben. Ich sehe, daß du blind bist. Wie wäre es, wenn wir Freunde würden. Wir könnten gut zusammenarbeiten. Ich zeige dir den Weg, und du trägst mich auf deinem Rücken.“ „Abgemacht“, erwiderte der Blinde. „Ich heiße Goa“. Goa nahm Kepeke auf seinen Rücken und so machten sie sich auf den Weg.


 (10) „Ich habe Hunger“ sagte Kepeke, „da ist ein Maisfeld“. „Ich bringe Dich hin und wir werden viele Maiskolben zum Grillen pflücken. Wir können schnelle Beute machen“ sprach Goa und betrat das Feld, wo Kepeke die Kolben pflückte.
Dann liefen sie schnell weiter, aber man hatte sie beobachtet und benachrichtigte den Besitzer des Maisfeldes.
 (12) Der Besitzer rief die Dorfbewohner zusammen, und die beiden Diebe wurden vor den Dorfältesten gebracht.“Ihr seid des Diebstahls beschuldigt worden“ sagte der Dorfälteste. „Sagt, was ihr zu eurer Verteidigung bringen könnt, vielleicht werdet ihr ja zu Unrecht beschuldigt.
 (14) „Könnt ihr beschwören, daß ihr nicht gestohlen habt?“ fragte der Dorfvorsteher.
„Das kann ich“, antwortete Goa, „ich konnte auf keinen Fall das Feld sehen – ich möchte auf der Stelle sterben, wenn ich den Mais gestohlen hätte“.
„Und ich möchte ebenfalls des Todes sein, wenn meine Füße je das Feld betreten hätten“ fügte Kepeke hinzu.
Die versammelten Dorfleute stimmten ihnen zu und riefen, daß Goa und Kepeke die Wahrheit sagten. Und so wurden die beiden Männer freigesprochen, denn Goa hatte keinen Mais gepflückt und Kepeke hatte kein fremdes Feld betreten.


 (16) Sie wanderten weiter und trafen eine Kuh, die herrenlos über den Weg lief. Kepeke, der auf Goas Rücken saß, führte seinen Freund zu der Kuh. Er streichelte das Tier am Bauch über dem Schenkel, und dadurch wurde die Kuh ganz zahm. Sie banden das Tier mit einem Strick aus Rindenfasern und zogen es mit sich.
Voll Freude über ihren reichen Fang schlugen sie ihre Hände ein und gratulierten einander.
(18) Bald darauf merkte Kepeke, daß die Kuh trächtig war, und er beschloß bei sich, Goa um seine Beute zu bringen. „Wie wäre es, ich nehme diese Kuh hier für mich, und du bekommst die nächste, wenn uns eine über den Weg läuft.“, sagte er.  „Ich bin nicht einverstanden“, antwortete Goa. „die Kuh gehört mir, denn wenn ich dich nicht getragen hätte, hättest du sie nicht bekommen, auch wenn du sie gesehen hast“. “Ich habe sie als erster gesehen, sie gehört mir“ rief Kepeke. Sie stritten weiter, bis sich die Leute zusammen liefen und nach einem Schlichter riefen.
(20) Der Richter sprach in der Versammlung: „Einigt Euch. Diese Kuh trägt ein Kalb. Es gehört euch beiden. Warum wartet ihr nicht ab, bis es geboren wird? Vielleicht bekommt sie ja Zwillinge, dann hat jeder das, was er möchte, der eine das erstgeborene, der andere das zweite. „Mir gehört das Erstgeborene“ schrie Kepeke gleich. „Nein, mir“ sagte Goa, „du bekommst das nächste.“


(22) Der Richter bemühte sich, den Streit zu schlichten, aber keiner wollte nachgeben. Goa versuchte, Kepeke auf den Boden zu werfen, aber der klammerte sich mit aller Kraft an seinem Rücken fest. Die Menschen um sie herum johlten.
(24) „Wenn ihr euch nicht einigen könnt, muß ein Speer mit zwei Spitzen über euch richten. Nehmt ihn jeder an einem Ende und versucht, den anderen damit zu durchbohren. Wer überlebt, hat gewonnen und bekommt die Kuh.“
„Aber ich kann doch gar nicht sehen, er wird mich umbringen“ rief Goa. „Und ich bin gelähmt und habe nicht genug Kraft gegen ihn“ erwiderte Kepeke.
„Wenn ihr nicht wollt, dann bekommt die Dorfgemeinde die Kuh“. – Die Menschen johlten Beifall, und die beiden Schelme bekamen Angst.
 
(26) „Die Kuh gehört uns“ sprachen beide gleichzeitig. – „Dann einigt euch“, sprach der Richter, „schließt Frieden und streitet euch nicht weiter“.
„Das stimmt, warum streiten wir uns“, sagte Goa „ich bin blind und brauche dich, damit du mich führst“. „Du hast recht,“ erwiderte Kepeke, „ich bin gelähmt und brauche deine Kraft, damit du mich trägst“. Sie gaben sich die Hand und schworen sich Freundschaft und brüderliche Hilfe, denn allein jeder für sich konnten sie nichts erreichen. Die Dorfleute aber applaudierten voll Freude.

Ein Märchen, ein Märchen.... (bpr & pfw I/14, II/15, 780 W.)

 

10 - Soamandranovola und das große Krokodil

(Soamanandranovola sy Ravoaibe)

 

Ein Märchen der Antaimoro [Südosten]

Text von Ratsifa, Bilder von Ramika

 

 (4) Früher, liebe Kinder, so erzählt man in der Gegend der Antaimoro, gab es keine Pirogen in Madagaskar, man überquerte einen Fluß mit Hilfe eines Krokodils,

Eines Tages wollte eine Königstochter namens Soamandranovola mit ihrer Freundin auf die andere Seite des Flusses übersetzen und rief Ravoaibe, das große Krokodil.

 (6) Dieses kam herangeschwommen und die beiden Mädchen setzten sich auf seinen Rücken. Unterwegs konnte sich die Königstochter nicht zurückhalten und sagte frech:“ Das Krokodil stinkt, das Krokodil stinkt“. Ihre Freundin bat sie sehr, nichts zu sagen, doch sie sprach weiter “ Es riecht aber doch wirklich ganz schlecht!“

 

 (8) Auf dem Rückweg hielt Ravoaibe die Königstochter zurück. „Deine Freundin kann gehen, du aber nicht.“ Zornig packte er Soamandranovola und glitt mit ihr langsam immer tiefer ins Wasser. Die Königstochter bekam Angst und rief:

„Oh, Herr Ravoaibe! Meine Füße werden naß!

Oh, Herr Ravoaibe! Meine Brust wird naß!“

 (10) Oh Herr Ravoaibe! Mein Mund wird naß!

Mein Kopf kommt unter Wasser, noch nicht ganz, aber er wird gleich unter Wasser sein.

Das wütende Krokodil versteckte das Mädchen in einer Höhle. Dann holte er seine Kinder und Enkelkinder zusammen, um mit ihnen seine Beute zu verspeisen.

 (12) Aber ehe das große Krokodil seine Kinder und Enkelkinder versammelt hatte, lief ein Ochse gerade über die Höhle und brach mit einem Bein durch die Decke ein. Soamandranovola konnte sich daran festhalten und herausziehen lassen. Dann kletterte sie auf einen Baum und versteckte sich

 (14) „Bringt sie her“, raunzte das große Krokodil, „sie ist in der Höhle“. Man schickte Diener aus – sie fanden nichts. Dann suchten die Anführer der Krokodile selbst in der Höhle – vergeblich.
„Wo ist sie nur hin?“, fragte Ravoaibe. Sie öffneten die ganze Höhle, aber Soamandranovola war spurlos verschwunden. Die Krokodilfamilie geriet in so große Wut, daß Ravoaibe sich selbst  aufopfern mußte, um ihre Freßgier zu stillen.

 

 (16) Inzwischen war der König voller Sorge, weil seine Tochter nicht nach Hause kam. „Wo kann meine Tochter nur stecken?“ Darauf berichtete die Freundin „Wir waren zusammen, aber Ihre Tochter konnte sich nicht zurückhalten und sagte, das Krokodil rieche schlecht, und auf dem Rückweg hat es  sie festgehalten und ließ sie nicht gehen.“

 (18) Der König sandte viele Diener aus, um Soamandranovola zu suchen. Sie suchten überall, aber sie fanden sie nicht.
Derweil saß Soamandranovola hoch auf dem Baum und bat alle Vögel, die vorbeiflogen, sie zu ihren Eltern zu bringen.

 (20) Der Rabe flog vorbei, aber er lehnte ab, weil er immer beschimpft wurde, wenn er mal mit dem Schnabel in eine Maniokwurzel hackte. Auch ein Webervogel (Fody) weigerte sich, weil man ihn immer verjagte, wenn er mal ein paar Körner Reis aufpickte. Da kam ein großer Vogel namens Vorondreo [Kurol]. „Oh, Herr Vorondreo. Bring mich bitte zu meinen Eltern. Du bekommst 3 Säcke Farnkraut zur Belohnung.“ Und tatsächlich, Vorondreo war einverstanden  und nahm sie mit.

 (22) Sie überflogen mehrere Dörfer. Überall ertönte die klangvolle Stimme von Herrn Vorondreo: „ Kreo, kreo, hier ist eine Nachricht für die Eltern von Soamandranovola! Sie wurde lange Zeit von einem Krokodil festgehalten.“ Dann flogen sie weiter. „ Kreo, kreo, hier ist eine Botschaft für die Eltern von Soamandranovolas, die lange Zeit gefangen war bei Ravoaibe!“

 

(24) Eine alte Frau, die sich hinter den Häusern sonnte, hörte den Ruf und benachrichtigte den König. Dieser eilte herbei und und hörte die erneute Botschaft von Herrn Vorondreo.

“ Bring sie herunter! Hier ist ihr Vater, hier ist ihre Mutter“, rief der König ihm zu. Dann kam Ravorondreo mit Soamandranovola auf seinem Rücken herunter.

(26) Der König aber war überglücklich, sein Kind wohlbehalten wiederzusehen.
„Ich danke dir, Vorondreo, Gott segne Dich für deine Hilfe“, sagte der König und ließ ihm die versprochenen drei Säcke Farnkraut bringen.

Er befahl, zehn Ochsen für die Krokodile im Fluß zu opfern, denn seine Tochter war in größter Todesgefahr gewesen. Dann lud er alle Bewohner des Dorfes ein, um mit ihnen die Rückkehr seiner Tochter zu feiern.

 

Ein Märchen, ein Märchen.... (bpr & pfw I/14, 670 W.)

 

 

11 – Der Hammerkopf und die Schleiereule

(Ratakabola sy Renimborondolo)

 

Aus der Sammlung „Märchen des Antakarana“, Verlag Foi et Justice

Text von Michèle Rakotoson, Bilder von Patoo

 

(4) Es lebten einmal, so wird erzählt, im Norden unserer Insel ein Hammerkopf namens Ratakabola und eine Schleiereule, die hieß Renimborondolo. Eines Tages wetteten sie, wer am schnellsten ein Haus bauen könne.

(6) Schnell hatte Herr Hammerkopf sein Haus fertig, aber … Frau Eule setzte sich hinein und wollte nicht mehr weggehen.

Der Hammerkopf klagte laut und rief
„Sie hat mich hereingelegt, ich habe die List der Alten nicht geahnt mit ihrer großen Tücke.“

(8) Als sich der Hammerkopf so grämte, kam ein Rabe vorbei. „Welches Unglück ist dir widerfahren“, fragte er, „warum ist dein Feld nicht bestellt und der Damm gebrochen?“

Herr Hammerkopf weinte und antwortete mit tränenerstickter Stimme: „Das Schicksal hat mich so hart getroffen, daß ich es nicht fassen kann. Frau Eule ist in mein Haus eingedrungen und sie ist nicht heraus zu kriegen. Wenn du sie heraus bekommst, schenke ich dir ein Ei.“

Der Rabe soll geantwortet haben: „Laß mich nur machen.“

(10)  Doch sobald Frau Eule den Raben erblickte, riß sie die Augen weit auf und pfiff ohrenbetäubend :

„Ich bin die Eule Renimborondolo

Wenn ich den Himmel ansehe, so zerreißt er

Wenn ich die Erde betrete, so zerbricht sie.

-          O o o h…. N e i i i i i i i i i n…N i i i e m a l s….”

Der Rabe verschwand so schnell wie der Wind - „Es ist besser zu fliehen, dies hier ist kein Spiel“

 

(12)   Herr Hammerkopf war untröstlich und lief hilflos hin und her, als plötzlich ein Raubvogel vorbeiflog, der schwarze Milan [Papango]: „Was machst du denn, warum ist dein Acker nicht bestellt und der Damm gebrochen?“

Der andere seufzte tief und erwiderte: „Ich bin Hammerkopf, der sein Recht verloren hat. Die Eule hat mich besiegt, sie will mein Haus nicht freigeben. Ich schenke dir ein Küken, wenn du sie raus bekommst.“

Der Milan schlug mit den Flügeln und warf sich stolz in die Brust: „Laß mich nur machen!“.

(14)  Was glaubst Du! Er hatte noch nicht einmal das Vogelhaus betreten, da riß die Eule wieder die Augen auf und pfiff schrill:

„Ich bin die Eule Renimborondolo

Wenn ich den Himmel ansehe, so zerreißt er

Wenn ich die Erde betrete, so zerbricht sie.

-          O o o h…. N e i i i i i i i i i n…N i i i e m a l s….”

Der Milan dachte, hier verbrenne ich mir den Schnabel und ergriff mit einem Flügelschlag die Flucht. - „Es ist besser zu fliehen, dies hier ist kein Spiel“

(16)  Herr Hammerkopf war der Verzweiflung nahe und wollte sein Hab und Gut schon verloren geben, als das Vögelchen Ratsintsina [Zistensänger] vorbeikam.

„Was ist los mit dir“ fragte es, „haben dich die guten Geister verlassen? Warum ist dein Feld nicht bestellt und der Damm gebrochen?“
Der gute alte Hammerkopf flüsterte traurig: „ Mein junger Freund, ich bin Hammerkopf, der es nicht geschafft hat, sein Haus zu behalten. Frau Eule ist eingedrungen, hat es einfach besetzt und will es nicht mehr verlassen. Hilf mir, mein lieber junger Freund, und wenn du es schaffst, sie hinaus zu jagen, so schenke ich dir eine Heuschrecke.“

(18)  Der kleine Ratsintsina plusterte sich auf. Laut und fröhlich verkündete er:

„Laß mich mal machen!“

(20) Hammerkopf vernahm das verwundert: „Selbst ein großer Raubvogel hat das nicht geschafft, was dieser Winzling sich einbildet.“

Aber der kleine Vogel zögerte keinen Augenblick.

(22) Sogleich begab er sich zu der Eule und fragte: „Wer ist denn da im Haus von Hammerkopf?“

Die Eule antwortete wie immer:

„Ich bin die Eule Renimborondolo

Wenn ich den Himmel ansehe, so zerreißt er

Wenn ich die Erde betrete, so zerbricht sie.

-          O o o h…. N e i i i i i i i i i n…N i i i e m a l s….”

(24)   In dem Augenblick aber, als die alte Eule ihren Schnabel ganz weit aufriß, stürzte sich der kleine Ratsintsina hinein und schoß hinten aus der Eule heraus – und dann, im gleichen Anlauf, fuhr er hinten wieder hinein und sprang aus ihrem Schnabel heraus.

Frau Eule war so entsetzt, daß sie eiligst die Flucht ergriff.

(26) Herr Hammerkopf  jedoch konnte endlich in sein Haus zurück, und der kleine Ratsintsina saß stolz und glücklich im Baum und verspeiste die versprochene Heuschrecke.

Seitdem sagt man: „Der Verstand ist stärker als die Kraft“.

Ein Märchen, ein Märchen.... (bpr & pfw I/14, 750 W.)

 

 

12 - Karijavola und das Ungeheuer
(Karijavola sy Trimobe)

 

aus der Gegend von Miandrivazo im Westen Madagaskars

Text von Jacques Randrianaivo, Bilder von Roddy

 

(4) – Es war einmal, liebe Kinder, eine Frau, die wohnte im Westen des Landes. Sie erwartete ein Kind, und wie es bei Schwangeren häufig zu sein pflegt, war sie versessen auf bestimmte Speisen. In ihrem Fall war es Taro [„Saonjo“, Cocoyamwurzeln].
„Ich werde mein Kind verlieren, wenn ich keine Taroknollen essen kann“, klagte sie ihrem Mann. Doch dieser erwiderte: „Niemand hier in der Gegend baut Taro an - außer Trimobe, du müßtest zu ihm gehen. Aber das ist kein Mensch, sondern ein Ungeheuer“.

(6) – Die Frau aber ging zu Trimobe und bat ihn, ihr Taro zu verkaufen. Doch er lehnte ab und verlangte statt dessen, sie solle ihm ihr erstgeborenes Kind geben. Die künftige Mutter dachte sich nicht viel und stimmte zu. Und so durfte sie sich so viele Taroknollen ausgraben wie sie wollte.

 

(8) – Sie aß Taroknollen, bis sie niederkam und einen Sohn gebar. Nach drei Monaten aber - die Frau hatte Trimobe schon vergessen - kam das Ungeheuer und verlangte das Kind. Die Mutter entgegnete: „Es ist noch viel zu jung und klein, es wäre keine gute Mahlzeit für dich. Warte, bis es größer und dicker ist.“ „Du hast recht“, stimmte Trimobe zu.

(10) – Als Trimobe fort war, versteckte die Frau ihren Sohn bei Verwandten. Eines Tages, als der Junge Heimweh hatte und  seine Mutter besuchte, entdeckte Trimobe ihn jedoch. Das Ungeheuer wollte das Kind gleich mitnehmen, denn, so sagte er, die Mutter habe es ja schon lange genug bei sich gehabt und es sei schon fett genug.

(12) – „Ich will mein Kind nicht hergeben - aber ich habe es so versprochen und muß mein Versprechen halten. Damit ich aber von den anderen nicht verhöhnt und getadelt werde, habe ich einen Vorschlag: ich werde das Kind zum Rinderhüten auf die Weide schicken. Dort kannst Du es mitnehmen, es heißt Karijavola.“ „In Ordnung“, entgegnete Trimobe.

(14) - Karijavola aber hatte das Gespräch zwischen seiner Mutter und Trimobe heimlich mitgehört. Er sagte seinen Freunden: „Hört zu, wir werden uns alle Karijavola nennen, damit Trimobe keinen fressen kann, wenn er nach unseren Namen fragt“.

(16) – Als Trimobe auf die Weide kam und die Kinder fragte, wer von ihnen Karijavola hieße, antwortete der Junge: „Der da heißt Karijavola, dieser und auch jener heißt Karijavola, wir alle heißen Karijavola. Welchen meinen Sie denn?“
„Die Frau hat mich reingelegt“, dachte Trimobe und kehrte in sein Haus zurück.

 

(18) – „Geh morgen wieder zur Weide“, sagte ihm die Mutter, als er wiederkam. „ Ich werde meinem Sohn ein rotes Lendentuch geben.“
Karijavola aber sagte seinen Freunden, sie sollten alle ein rotes Lendentuch umbinden. Und als Trimobe kam, wußte er wieder nicht, wen er mitnehmen sollte. Er wollte ja nicht das Kind von fremden Leuten verspeisen.
Und so ging es weiter: Karijavola sorgte dafür, daß seine Freunde immer das gleiche hatten, was seine Mutter ihm gab.

(20) – Trimobe wurde das Spiel leid, er drohte nun, statt dessen die Mutter selber zu verspeisen. Diese flehte ihn an, er solle in der Nacht wiederkommen, wenn die anderen schliefen. Trimobe willigte ein.

 

(22) – Als es Nacht wurde, ergriff Trimobe den schlafenden Jungen und schleppte ihn fort. Das Kind erwachte und heulte „Es ist um mich geschehen, Mutter, ich werde sterben, Mutter.“
„Ich kann nichts tun,“ erwiderte die Mutter, „ich habe dich für die Taroknollen versprechen müssen. Aber versuche selbst alles, um zu entkommen.“

(24) – Zurück in seinem Haus machte das Ungeheuer Wasser heiß, um Karijavola zu kochen. Doch als er gerade nach dem heißen Wasser schauen wollte, stellte der Junge ihm ein Bein. Triombe stolperte, stürzte in das heiße Wasser und starb.

(26) – Karijavola aber kehrte zu seinen Eltern nach Hause zurück. Sie alle waren nun vor dem Ungeheuer gerettet. Zur Feier richtete seine Familie ein großes Fest für das ganze Dorf aus. Alle kamen, voran seine Freunde.

Ein Märchen, ein Märchen.... (bpr & pfw X/14, 650 W.)

 

((8900 W.))

 

 

13 – Wie ein armer Schlucker König wurde

 

 

 

(Ilay masikiny nanjary ampanjaka)

 

 

 

Ein Märchen der Antakarana (éd. Foi et Justice 2015)

 

Erzählt von Michèle Rakotoson, Bilder von Antso

 

 

 

(4) Vor langer Zeit, liebe Kinder, so erzählt man, lebte in einem Dorf mit dem Namen Antsakalony auf der Insel Nosi-Be eine Familie: Vater, Mutter und ihr einziger Sohn.

 

Sie waren bitter arm und wussten nicht, wovon sie sich Tag für Tag ernähren sollen. Eines Tages sagte der Sohn zu seinen Eltern, er wolle fortgehen, um in der Ferne sein Glück zu finden und nach Geld und Reichtum zu suchen. Er bat um ihr Einverständnis.

 

„ Liebster, du bist unser einziges Kind, bleib bitte hier“, antworteten sie, „im Land herrscht kein Friede“. Da er aber fest entschlossen war, gaben sie schließlich ihren Segen.

 

 

(6) Früh am Morgen machte sich unser junger Mann auf den Weg. Er war schon ziemlich weit weg, da kam er an ein großes schlammiges Loch. So viel Schlamm hat er noch nicht gesehen! Aber nicht nur Schlamm, es wimmelte von Mücken!

 

„ He Tendrovolo [Bezeichnung für Menschen], Du Menschensohn mit dem Haar auf dem Kopf, laß uns bitte von Deinem Blut trinken, wir sterben vor Hunger“.

 

„ Ist das alles?“, fragte er, und ließ sie so viel von seinem Blut saugen,wie sie mochten. Nur die Augen sparten sie aus. Bevor er weiterging, versprachen ihm die Mücken, dass, wenn er mal ihre Hilfe bräuchte, sie zu ihm eilen würden.

 

 

(8) Der junge Mann setzte seine Reise fort und traf nach einer Weile auf eine ganze Horde von Ratten. Diese sprachen ihn an: „ O Tendrovolo, Du Menschensohn mit vollem Haar, gib uns bitte Deine Kleider zu essen, wir haben großen Hunger!“

 

„ Ist das alles?“, fragte er und zog seine Kleidung aus. Die Ratten stürzten sich gierig darauf, fraßen, knabberten und zerlegten sogar die Knebelverschlüsse. Satt und hochzufrieden, versprachen sie ihm ihre Hilfe, wenn er mal Unterstützung brauchte.

 

 

(10) Tag und Nacht marschierte er weiter, ohne Rast. Eines Tages, gegen Mittag, kam er in ein Dorf und sah eine alte Frau in ihrem Haus sitzen.

 

„Guten Tag, Großmutter“, sagte er höflich, „gibt es hier vielleicht Arbeit? Kann man hier Geld verdienen und reich werden? Wir leiden unter einer schrecklichen Hungernot in unserem Dorf.“

 

„ Es gibt tatsächlich Reichtum zu gewinnen. Der König sucht nämlich einen Mann für seine Tochter. Der junge Mann, der die vom König geforderten Prüfungen schafft, der darf nicht nur seine Tochter heiraten, sondern bekommt gleichzeitig die Hälfte seines gesamten Vermögens.“

 

„ Ist das alles? Ich stelle mich auf der Stelle vor“, erklärte er leicht überheblich.

 

„ Paß auf, die Prüfungen sind schwer“, lachte sie. „Selbst große fremde Krieger haben sie nicht bestanden  und sind alle ums Leben gekommen; und du, so klein wie du bist, bildest dir ein, es schaffen?“

 

 

(12) Der junge Mann hörte sie gar nicht mehr, er war bereits auf  dem Weg zum Königsschloß, das er nach einem weiten, tagelangen Marsch erreichte.

 

„Verzeihen Sie, Majestät“, sprach er höflich und formvollendet, „ ich bin auf der Suche nach Arbeit, Geld und Reichtum, Kann ich das hier finden? Wir haben eine schwere Hungernot in unserem Dorf“.

 

„ Du bist mutig und fürchtest dich nicht vor mir“, antwortete der König. „Deinen Mut werde ich auf die Probe stellen, wer weiß, vielleicht kannst du mein Schwiegersohn werden  und mein halbes Vermögen erben“.

 

„ Ich bin bereit“, antwortete der Jüngling ohne zu zögern.

 

 

(14) Mit strenger Stimme verkündete der König: „Hier ist die erste Prüfung: wirf uns sieben Nüsse von diesem Riesenkokosnußbaum herunter,  falls es Dir gelingt, hinaufzuklettern.

 

Die zweite Prüfung: meine Frau und meine Tochter werden zusammen vor dich treten, du mußt sie unterscheiden und sagen, wer die Mutter und wer die Tochter ist.“

 

Wieder tat der junge Mann unbeeindruckt und sagte: „Ist das alles? Ich werde das schaffen“. Er bat um eine kleine Frist bis zum Abend und suchte die Ratten und die Mücken, seine Freunde, auf.

 

 

(16) Er erzählte ihnen von der ersten Prüfung und erklärte, daß er ihre Hilfe brauche.

 

„Ist das alles? Das ist nicht schwierig für uns, wir spielen jeden Abend da oben in diesem Kokosnußbaum. Mach dir keine Sorgen, du kriegst deine Nüsse“.

 

Danach ging er zu seinen anderen Freunden, den Mücken, und erzählte ihnen von der zweiten Prüfung, die auf ihn wartete.

 

„Ach, mach dir keine Sorgen“, erwiderten die Mücken, „ wir spielen jede Nacht im Königschloß, wir kennen uns dort bestens aus“. „Außerdem“, fügte eine hinzu, „steche ich jede Nacht mit Vorliebe die Tochter“.

 

Es wurde Nacht, acht Uhr. Alle waren gekommen, jung und alt waren auf dem Platz versammelt und warteten. Zwölf Ratten saßen bereits ganz oben auf der Kokospalme.

 

 

(18) Die Prüfung begann, der Jüngling kletterte die Palme hinauf, bis man ihn von unten nicht mehr sehen konnte. Dann fing er an, seinen Freunden leise zu zu summen:  „Ihr Ratten, Ihr lieben Tiere, helft mir, mein Mut hat mich verlassen“.

 

Die Ratten näherten sich und fragten ihn flüsternd: „ Wieviele Nüsse brauchst du?“

 

“ Sieben“. - “ Ist das alles?“

 

 

(20) Eifrig machten sich die Ratten an die Arbeit. Sehr bald fiel die erste Nuß, dann die zweite, die dritte...,  und zum Schluß waren es sieben.

 

Der König kam aus dem Staunen nicht heraus. So etwas hatte es noch nicht gegeben. Die Palme ist so hoch, daß man fünf Stunden brauchte, um an die Spitze zu gelangen. Was ist das für ein junger Mensch? fragte er sich insgeheim.

 

Er wollte sich aber nicht geschlagen geben und sagte mit ernster Stimme: “ Du hast die erste Prüfung bestanden, wir wollen die nächste sehen“.

 

 

(22) Der König, wollte nicht aufgeben. Es darf doch nicht sein, dachte er, daß ein solcher Mensch, der in größtem Elend lebt, es schafft, meine Tochter zu heiraten!

 

Er erklärte ihm nochmal, was er zu bestehen hatte: “Morgen wirst Du entscheiden, wer die Mutter und wer die Tochter ist. Paß auf, daß Du Dich nicht vertust, denn dann bist Du Deinen Kopf los“.

 

„ Jawohl, “ antwortete der junge Mann, der bemüht war seine Unruhe nicht zu zeigen, „ morgen werde ich sagen, wer die Mutter und wer die Tochter ist. Laßt mich erstmal ausruhen, ich bin erschöpft.“

 

Er rief die Mücken zur Hilfe: “ Ihr Mücken, Ihr lieben Tiere. Kommt, helft mir jetzt. Er schickt mich in die schreckliche Prüfung“

 

Die Mücken kamen alle in das Schloß geflogen, um dem jungen Mann beizustehen.

 

 

(24) Am nächsten Morgen kam der junge Mann ins Schloß, wo ihn der König mit den schönsten Kleidern kleiden ließ. Königin und Königstochter hatten bereits Platz genommen. Zitternd und in leichter Panik sah der arme junge Mann die vollkommene Ähnlichkeit von Mutter und Tochter: gleiche Flechtfrisur, gleicher Schmuck, gleiches Gesicht, gleiche Figur, beide trugen Kleider von gleicher Schönheit und Eleganz. Man konnte Mutter und Tochter nicht auseinanderhalten. Verzweifelt rief er seine Freunde zur Hilfe:

 

“ Ihr Mücken, Ihr lieben Tiere, helft mir doch bitte, mich hat der Mut verlassen“.

 

Die Mücken näherten sich ihm und flüsterten ihm zu: -“ Schau Dir genau diese eine von uns an, sie sticht jede Nacht die Tochter“.

 

Die genannte Mücke kam hinzu, flog zu Mutter und Tochter und setzte sich stolz auf die Nasenspitze des jungen Mädchens.

 

“ Diese hier ist Ihre Tochter!“, rief der junge Mann und zeigte auf sie.

 

 

(26) Das Volk brach in Jubel aus. “ Die Tochter des Königs hat einen Bräutigam gefunden!“ riefen sie voll Freude, „den ärmsten und klügsten von allen.“

 

Der König hielt sein Wort. Er gab dem armen jungen Mann seine Tochter zur Frau und außerdem noch die Hälfte seines Vermögens.

 

 

 

Ein Märchen, ein Märchen,. . .

 

 

14 - Wie die Mücke und ihre starken Freunde ganz klein wurden

 

(Ireo biby telo matanjaka)

 

Text: Myriam Verenako, Bilder: Patoo

 

(4) Vor langer, langer  Zeit, so wird erzählt, liebe Kinder, waren die Mücken, die Flöhe und die Vogelläuse (Federlinge, Hühnerläuse) die stärksten Tiere auf der Welt. Und sie rühmten sich so sehr ihrer Größe und Kraft, daß sie in ihrem Hochmut keine Rücksicht kannten.

 

(6) Als die Zeit des Reisanbaus nahte, sagte die Mücke: „ Ich muß nach einer Stelle suchen, wo ich mein Reisfeld anlegen kann“.

Dann machte sie sich auf die Suche nach fruchtbarem Boden. Mehrere Tage ging sie hin und her durch das Land. Es dauerte lange, bis sie schließlich ein geeignetes Feld fand.

 

(8) Sie fing an, das Land sorgfältig vorzubereiten: sie bearbeitete den Boden, streute viel Asche als Dünger und ließ den Ackerboden von Zebus [Buckelrinder] stampfen. Nachdem der Boden richtig fruchtbar gemacht war, säte sie die Reiskörner aus.

Ihr Reis wuchs prächtig, alle waren voller Bewunderung. Sie jätete ihr Feld, als die Reishalme groß wurden und entfernte sorgfältig das Unkraut.

 

(10) Gerade zu dieser Zeit kam ihr Freund, der Floh, vorbei. Er trug eine riesengroße Axt auf der Schulter, wie sie heutzutage kaum zwei Männer tragen könnten, so schwer war sie.

Die Mücke sprach zu ihm: - „Ich grüße dich, wohin des Wegs?“ -

„ Sei mir gegrüßt! Ich gehe den großen Baum fällen, der östlich von Deinem Feld steht. Ich möchte daraus eine Piroge [Boot aus einem Baumstamm, Einbaum] bauen!“

Der Baum, den er fällen wollte, so erzählt man, war der größte und höchste Baum der Welt.

 

(12) Während der Floh sich bereit machte, erschien plötzlich der Federling (die Hühnerlaus). Er grüßte seine Freunde und sagte: - „ Gib mir Deine Axt, ich will dir deinen Baum fällen. Das ist eine Kleinigkeit für mich.“

„ Nein danke“ erwiderte der Floh, „mache dir keine Umstände, ich möchte selbst meinen Baum fällen.“

Die Hühnerlaus ließ aber nicht locker und bestand auf ihrer Absicht.

 „Laß mich das machen“, beharrte sie, „damit ich meine Kraft prüfen kann“.

 

(14) Der Floh gab ihr schließlich seine Axt, dann stellte er sich, auf seine Ellenbogen gestützt, neben den Baum, um die Laus genau bei der Arbeit beobachten zu können. -“ Geh bitte weg, denn der Baum ist sehr schwer, ich möchte nicht, daß er dich erschlägt“.

 „Mach Dir keine Sorge“, antwortete der Floh, „arbeite ruhig weiter!“

 

(16) Die Laus hob die Axt, schlug mit ihrer ganzen Kraft zu, und der Baum war mit einem einzigen Hieb vollständig abgehackt. Er stürzte zu Boden, aber im gleichen Moment spannte der Floh blitzschnell seine Muskeln und fing den Baum unversehrt auf. Dann bedankte er sich bei der Laus und zog mit dem großen Baum von dannen, als ob es ein kleines Holzbündel wäre.

 

(18) Er lief zum Ufer, um aus seinem Baum ein Boot zu machen. Dabei stapfte auf dem kürzesten Weg  quer durch das Reisfeld der Mücke. Die Reispflanzen wurden zertreten, die Stengel durchtrennt und die Halme fielen zu Boden.

 

(20) Die Mücke wurde zornig, als sie die Verwüstung sah.

 „Was fällt Dir ein? Das ist Bosheit! Warum bist Du nicht den normalen Weg gegangen, statt durch mein Reisfeld zu stapfen? Du hast meinen Reis ganz zerstört“

Der Floh tat so, als hörte er nicht und setzte seinen Weg fort, als sei nichts gewesen.

 

(22) Das machte die Mücke noch wütender, und als der Floh an ihr vorbeiging, griff sie mit beiden Händen den gefällten Baum, schleuderte ihn in die Luft und warf ihn schließlich mit voller Kraft weit weg, so weit, daß niemand sehen konnte, wo er herunter kam.

Aus den Zweigen dieses gewaltigen Baumes, so sagt man, liebe Kinder, seien die schönsten Bäume entstanden, die es heutzutage gibt.

 

(24) Als der Zanahary [Schöpfergott] das sah, wurde er zornig und sprach:

 „Ihr habt alle drei Böses getan: Du, Floh, du hast das Reisfeld Deines Freundes zerstört. Du, Mücke, hast das Holz deines Freundes weggeworfen, obwohl er dir gesagt hat, daß er es braucht. Und bei dir, Hühnerlaus, war die Verfehlung nicht so groß wie die Boshaftigkeit deiner Freunde, aber du rühmst dich zu sehr deiner Kraft und bist hochmütig geworden.“

 

(26) -“ Ich werde euch alle drei bestrafen. Ab heute werdet Ihr die kleinsten und schwächsten aller Tiere der Erde sein“.

Zanahary griff seinen Stock und schlug kräftig auf Laus, Floh und Mücke. Diese wurden langsam immer kleiner und so winzig, wie wir sie heutzutage kennen.

Diese drei bösen Tiere, so erzählt man es, liebe Kinder, sind also so klein geworden, weil der Zanahary sie bestraft hat.

 

Ein Märchen, ein Märchen, Geschichten, Geschichten

Ich erzähle sie euch, und ihr hört zu.

(bprpfw, 760)