5 - Lohanaby, der Junge, der nur ein Kopf war
(2. Aufl. Juli 2015)
Ein Märchen aus dem Südosten Madagaskars (Farafangana)
Text von Nandrasana, Bilder von Roddy

(S.4) Vor langer Zeit, Kinder, so wird in diesem Märchen erzählt, lebte im Südosten ein Ehepaar mit seinen vier Söhnen . Der jüngste von ihnen hatte keine richtigen Hände, keine richtigen Beine, keinen Körper. Er bestand nur aus einem Kopf. Sein Name war Lohanaby.  Seine älteren Brüder verspotteten ihn, weshalb Lohanaby noch mehr litt.

 

(6) Er entschloß sich, zum Zanahary [Herr der Schöpfung] zu gehen, um Hilfe zu suchen. Er hüpfte und rollte auf dem Weg dahin, denn ohne richtige Beine und Füße konnte er ja nicht richtig laufen.

Nach einer Weile traf er unterwegs eine alte Frau, die fragte ihn „Wohin des Wegs?“. „ Zum Zanahary“, antwortete er, „ich möchte gern, daß er meine Gestalt ändert, die er mir gegeben hat“.

 

(8) Die Frau, sie hieß Ranavavy, hatte Mitleid mit ihm und gab ihm ein paar gute Ratschläge, wie er sich beim Zanahary verhalten soll. „ Auf keinen Fall darfst du  dich auf den goldenen Stuhl setzen, den er dir anbietet, auch aus dem goldenen Teller darfst du nicht essen, wenn dir darauf serviert wird, und nicht im goldenen Bett schlafen, in das du dich legen sollst. Zeige Bescheidenheit.

Es gibt aber beim  Zanahary ein Wasser, das Menschen verwandeln kann.“

 

(10) Lohanaby setzte seine Reise fort. Eine Woche später kam er beim Zanahary an. Dort wurde er von den Hunden Zanaharys mit Gebell empfangen, störte sich aber nicht daran und trat ein. „ Ich habe dich schon erwartet“, sagte Zanahary. Er bat ihn hinein und bot ihm einen goldenen Stuhl an, aber Lohanaby lehnte ab. „Lassen Sie mich bitte hier an der Tür auf dem Boden  Platz nehmen.“

 

(12) Man brachte ihm etwas zu essen auf einem goldenen Teller, worauf er sagte:  „Gnädiger Herr, daraus möchte ich nicht essen, mir genügt ein einfacher Teller.“

Als es Nacht wurde, lud man ihn ein, in einem goldenen Bett zu nächtigen; das Angebot schlug er aber erneut aus. „ Danke, ich bin gewohnt, auf einer Strohmatte zu schlafen„, fügte er hinzu.

 

(14) Am nächsten Morgen fragte ihn der Zanahary, weshalb er zu ihm gekommen sei.

Lohanaby gab zur Antwort: „ Ich habe es sehr schwer, so zu leben, wie Sie mich geschaffen haben. Ohne Beine,  Hände und Körper, nur mit einem Kopf. Nur Zähne haben Sie mir noch gegeben, damit ich mich ernähren kann.“

- „ Es stimmt “, erwiderte Zanahary, „ich wurde damals unterbrochen, als ich dich schuf, so konnte ich gerade nur deinen Kopf vollenden. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß du es damit so schwer haben würdest. Aber ich werde dir helfen.“

 

(16) Zanahary ließ ihn dreimal in einen See tauchen, die nicht weit von da war. Beim ersten. Mal wuchsen ihm Hände, Bauch und Brust, beim zweiten Untertauchen bildeten sich Beine und Füße, und beim dritten Mal wurde er schließlich ein schlanker, hübscher junger Mann. Er bedankte sich von ganzem Herzen.

 

(18) Nach seiner Verwandlung ging er nach Hause zurück. Groß war die Überraschung seiner Eltern, als sie ihn so wiedersahen, und seiner Brüder, die ihn immer verspottet hatten.

Lohanaby aber erzählte seinen Brüdern gern und ohne Zögern von seiner Reise zum Zanahary, als sie ihn danach fragten.

„ Wir wollen auch zu ihm“, beschlossen die drei, denn sie waren sehr neidisch.


(20) So machten sie sich auf den Weg zum Zanahary. Unterwegs begegneten sie der alten Frau, aber sprachen kein Wort mit ihr und grüßten sie nicht einmal. „ Was kann diese einfache Frau uns schon nützen“, sprachen sie zueinander. Schließlich kamen sie ans Ziel.

 

(22) Zanahary bat sie hinein und bot allen dreien einen goldenen Stuhl, auf den sie sich gern setzten. Dann aßen sie aus goldenen Tellern. Abends zögerten sie nicht und nahmen selbstverständlich das Angebot an, in goldenen Betten zu schlafen.

 

(24) Als er sie am nächsten Morgen fragte, weshalb sie ihn besuchten, gaben sie zur Antwort: „ Wir möchten gern noch schöner aussehen als Sie uns gemacht haben und als unser Bruder. Unser jüngster Bruder wurde von Ihnen in einen hübschen, gut aussehenden jungen Mann verwandelt „.

 

(26) Zanahary sagte nichts und führte sie zum Zaubersee. Dort ließ er sie alle drei zusammen ins Wasser tauchen. Beim ersten Mal wuchs ihnen der Mund in die Länge, beim zweiten Mal bekamen sie vier Beine, beim dritten Tauchen wuchsen ihnen überall Haare. Sie hatten sich in bellende Hunde verwandelt.

Zanahary aber wies sie fort mit den Worten: „Los, verschwindet, nun seid keine Menschen mehr, ihr seid Hunde geworden!“

Lohanaby dagegen ist Mensch geblieben und wohnte zusammen mit seinen Eltern.

 

Ein Märchen, ein Märchen,…  (bpr & pfw II/13)