3 - Der Fischer im Glück

(2. Aufl. Feb 2014, unveränd.)

(Ilay mpanjono nanan-karena)

Ein Märchen der Sakalava aus der Gegend von Mahajanga (Nordwesten)

Text von Marthe Rasoa , Bilder von Roddy

 

(S.4) Es war einmal, liebe Kinder, ein armer Mann, so erzählt man in der Gegend von Ambongo, im Land der Sakalava. Er ernährte seine Familie mit Fischfang. Alles, was er besaß, waren eine Angel und eine Piroge.

 

(6) In aller Frühe, wenn die Frösche quakten, war er bereits am Meer, und erst bei Anbruch der Nacht kehrte er heim.
Er wußte nicht, daß tief unten auf dem Meeresgrunde in einem Königreich ein Volk lebte. Der König hatte eine Tochter.

 

(8) Eines Tages wurde das kleine Mädchen krank. Der Medizinmann sagte, es könne nur gesund werden, wenn es Reis zu essen bekäme. Es ist aber schwer, unter dem Meer Reis als Medizin zu bekommen. Da versprach der Bote des Königs, sich alsbald auf die Suche nach Reis zu begeben. Er stieg an das feste Land und ging am Meeresufer entlang.

 

(10) Schließlich traf er auf den Fischer, der Maniokwurzeln und manchmal etwas Reis aß, den er selbst kochte. Der Bote sah die Reiskörner und bat den Fischer um die Reste, die er dann ins Königreich mitnahm. Vier Tage später war die Königstochter wieder gesund.

 

(12) Der König und sein Volk freuten sich und ließen ein Huhn schlachten. Denn jedes Mal, wenn Menschen sich freuen, wird ein Huhn geschlachtet.
Der König aber befahl, den Menschen zu belohnen, von dem sie die Reiskörner bekommen hatten.

 

(14) Als der Königsbote die Angel des Fischers mit dem Köder im Meer entdeckte, hielt er sie fest. Sogleich zog der Fischer die Rute hoch, weil er glaubte, ein großer Fisch habe angebissen. Der Bote ließ sich hochziehen und rief:

„Sei gegrüßt, lieber Mann! Der König will Dir Deine gute Tat vergelten. Ich habe ihm die Reiskörner gebracht, die Du mir am Ufer gegeben hast. Die Königstochter hat sie gegessen und ist wieder gesund geworden.“

 

(16) Der Fischer lehnte zunächst ab, aber der Bote kippte das Boot um und zog ihn geschickt ins Wasser. Dabei sprach er: „Wenn der König Dir Geld anbietet, weise es zurück, wähle statt dessen die Gabe, die Sprache aller von Gott geschaffenen Lebewesen zu verstehen.“

 

(18) Als der König den Fischer erblickte, war er verblüfft über die Ähnlichkeit: dieser Mensch hatte auch zwei Augen, zwei Ohren und eine Nase mit zwei Löchern. Nur einen kleinen Unterschied gab es bei dem irdischen Menschen: er stand gerade auf beiden Beinen, während die unter Wasser lebenden Wesen leicht gebeugt sind und mit den Händen wedeln.

 

(20) Der König bot ihm viel Geld, doch der Fischer lehnte ab. Darauf fragte der König „Möchtest Du die Sprache aller Lebewesen um Dich herum verstehen können?“ „Ja“, antwortete der Fischer.
Danach kehrte er in sein Dorf zurück. Er war aber müde und legte sich zum Schlafen unter einen Mangobaum.

(22) Da unterhielten sich über ihm zwei Raben, welche als Maisdiebe wohlbekannt waren. Der Fischer verstand nun ihre Sprache. Er stellte sich schlafend, um dem Gespräch der beiden Vögel länger lauschen zu können. Er schnarchte sogar mit offenen Zähnen. Da sprach der eine Rabe: „Wie tief der schläft“.

 

(24) Der andere Vogel fügte hinzu: „Ich weiß, daß das ein Antedrovolo ist, ein Mensch, eines der listigsten Geschöpfe Gottes. Ich setze mich mal auf seinen Bauch und werde ihn an den Augen kitzeln.

In diesem Moment ergriff der Fischer den überraschten Raben.

„Ich weiß, daß die Menschen sehr auf Geld aus sind“ sagte der Rabe zu seinem Freund. „Ich werde ihm die Goldmünzen zeigen, damit er mich frei läßt. Sie sind in den Tontöpfen im Wurzelloch des großen Baumes im Norden von seinem Dorf versteckt.

 

(26) Als der Fischer das hörte, lächelte er und ließ den Raben frei.
Er ging zurück in seinem Dorf. Früh am nächsten Morgen begab er sich zu dem großen Baum. Tatsächlich entdeckte er dort die sieben Tontöpfe, gefüllt mit Goldmünzen.

Er nahm drei von den Töpfen und brachte sie seiner Frau.

Nun war er überglücklich, weil er viel Geld besaß und die Sprache aller Geschöpfe verstand.

Ein Märchen, ein Märchen,…  (bpr & pfw VI/12)