12 - Karijavola und das Ungeheuer
(Karijavola sy Trimobe)

 

aus der Gegend von Miandrivazo im Westen Madagaskars

Text von Jacques Randrianaivo, Bilder von Roddy

 

(4) – Es war einmal, liebe Kinder, eine Frau, die wohnte im Westen des Landes. Sie erwartete ein Kind, und wie es bei Schwangeren häufig zu sein pflegt, war sie versessen auf bestimmte Speisen. In ihrem Fall war es Taro [„Saonjo“, Cocoyamwurzeln].
„Ich werde mein Kind verlieren, wenn ich keine Taroknollen essen kann“, klagte sie ihrem Mann. Doch dieser erwiderte: „Niemand hier in der Gegend baut Taro an - außer Trimobe, du müßtest zu ihm gehen. Aber das ist kein Mensch, sondern ein Ungeheuer“.

(6) – Die Frau aber ging zu Trimobe und bat ihn, ihr Taro zu verkaufen. Doch er lehnte ab und verlangte statt dessen, sie solle ihm ihr erstgeborenes Kind geben. Die künftige Mutter dachte sich nicht viel und stimmte zu. Und so durfte sie sich so viele Taroknollen ausgraben wie sie wollte.

(8) – Sie aß Taroknollen, bis sie niederkam und einen Sohn gebar. Nach drei Monaten aber, die Frau hatte Trimobe schon vergessen, kam das Ungeheuer und verlangte das Kind. Die Mutter entgegnete: „Es ist noch viel zu jung und klein, es wäre keine gute Mahlzeit für dich. Warte, bis es größer und dicker ist.“ „Du hast recht“, stimmte Trimobe zu.

(10) – Als Trimobe fort war, versteckte die Frau ihren Sohn bei Verwandten. Eines Tages, als der Junge Heimweh hatte und  seine Mutter besuchte, entdeckte Trimobe ihn jedoch. Das Ungeheuer wollte das Kind gleich mitnehmen, denn, so sagte er, die Mutter habe es ja schon lange genug bei sich gehabt und es sei schon fett genug.

(12) – „Ich will mein Kind nicht hergeben - aber ich habe es so versprochen und muß mein Versprechen halten. Damit ich aber von den anderen nicht verhöhnt und getadelt werde, habe ich einen Vorschlag: ich werde das Kind zum Rinderhüten auf die Weide schicken. Dort kannst Du es mitnehmen, es heißt Karijavola.“ „In Ordnung“, entgegnete Trimobe.

(14) - Karijavola aber hatte das Gespräch zwischen seiner Mutter und Trimobe heimlich mitgehört. Er sagte seinen Freunden: „Hört zu, wir werden uns alle Karijavola nennen, damit Trimobe keinen fressen kann, wenn er nach unseren Namen fragt“.

(16) – Als Trimobe auf die Weide kam und die Kinder fragte, wer von ihnen Karijavola hieße, antwortete der Junge: „Der da heißt Karija-vola, dieser und auch jener heißt Karijavola, wir alle heißen Karijavola. Welchen meinen Sie denn?“
„Die Frau hat mich reingelegt“, dachte Trimobe und kehrte in sein Haus zurück.

(18) – „Geh morgen wieder zur Weide“, sagte ihm die Mutter, als er wiederkam. „ Ich werde meinem Sohn ein rotes Lendentuch geben.“
Karijavola aber sagte seinen Freunden, sie sollten alle ein rotes Lendentuch umbinden. Und als Trimobe kam, wußte er wieder nicht, wen er mitnehmen sollte. Er wollte ja nicht das Kind von fremden Leuten verspeisen.
Und so ging es weiter: Karijavola sorgte dafür, daß seine Freunde immer das gleiche hatten, was seine Mutter ihm gab.

(20) – Trimobe wurde das Spiel leid, er drohte nun, statt dessen die Mutter selber zu verspeisen. Diese flehte ihn an, er solle in der Nacht wieder kommen, wenn die anderen schliefen. Trimobe willigte ein.

(22) – Als es Nacht wurde, ergriff Trimobe den schlafenden Jungen und schleppte ihn fort. Das Kind erwachte und heulte „Es ist um mich geschehen, Mutter, ich werde sterben, Mutter.“
„Ich kann nichts tun,“ erwiderte die Mutter, „ich habe dich für die Taroknollen versprechen müssen. Aber versuche selbst alles, um zu entkommen.“

(24) – Zurück in seinem Haus machte das Ungeheuer Wasser heiß, um Karijavola zu kochen. Doch als er gerade nach dem heißen Wasser schauen wollte, stellte der Junge ihm ein Bein. Trimobe stolperte, stürzte in das heiße Wasser und starb.

(26) – Karijavola aber kehrte zu seinen Eltern nach Hause zurück. Sie alle waren nun vor dem Ungeheuer gerettet. Zur Feier richtete seine Familie ein großes Fest für das ganze Dorf aus. Alle kamen, voran seine Freunde.

Ein Märchen, ein Märchen.... (bpr & pfw X/14)